Urteil vom 29. Mai 2019 des OLG Hamm: Compliance-Verstoß rechtfertigt Kündigung des Geschäftsführers


Der konkrete Fall:

Ein Geschäftsführer klagte gegen die fristlose Kündigung durch seinen Arbeitgeber, die mit einem internen Compliance-Verstoß begründet war. Einem internen „Katalog zustimmungspflichtiger Geschäftsvorfälle“ zufolge war bei der Zusage einer Provision über einem zuvor definierten Schwellenwert die Zustimmung des Bereichsvorstands einzuholen. Mitarbeiter des Geschäftsführers sagten einem Unternehmen, das als Zwischenhändler und Vermittler tätig war, ebensolche Provisionen zu, die den Schwellenwert überschritten. Um die Zustimmung des Bereichsvorstands zu umgehen, einigten sich die Parteien auf eine fiktive Reklamationsforderung. Der gekündigte Geschäftsführer gab die Reklamationsforderung trotz Kenntnis über diese Tatsache frei.

Die erste Instanz entschied zunächst, dass die Kündigung mangels wichtigen Grundes unwirksam sei. Das kündigende Unternehmen ging in Berufung.

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm (Az.: 8 U 146/18) entschied daraufhin (vgl. dazu hier), dass die Umgehung unternehmensinterner Compliance-Vorschriften ein gravierender Pflichtverstoß sei und somit einen wichtigen Kündigungsgrund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB darstelle, auch dann, wenn es sich um einen genehmigungsfähigen Vorgang handele.


Compliance-Verstöße durch Geschäftsführer:

Der Verstoß gegen interne Compliance-Vorschriften durch den Geschäftsführer stellt nach Ansicht des 8. Zivilsenats des OLG Hamm regelmäßig eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen könne. Insbesondere bei Verstößen gegen Compliance-Vorschriften durch Vorgesetzte werde die Autorität gegenüber den Mitarbeitern infrage gestellt, schließlich müsse von ihnen verlangt werden können, dass sie die Compliance-Richtlinien des eigenen Unternehmens kennen und gemäß Vorbildfunktion nach diesen handeln. Andernfalls sei davon auszugehen, dass sie von vornherein ungeeignet sind, das Unternehmen zu führen.

Auch ein nachträgliches Einschalten der Compliance-Funktion oder eine Rückabwicklung des mit dem Verstoß in Verbindung gebrachten Geschäfts führe nicht zur Aufhebung oder Milderung des Verstoßes. Bei Personen in Führungspositionen entfalle auch die grundsätzlich erforderliche Abmahnung, sofern ihnen Compliance-Verstöße vorgeworfen werden. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann einem Geschäftsführer bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, wie z. B. eines Compliance-Verstoßes, außerordentlich gekündigt werden, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedarf. Die Abberufung aus der Organstellung hat gesondert zu erfolgen.   


Sachverhaltsermittlung durch die Compliance-Funktion; Kein Fristablauf gemäß § 626 Abs. 2 BGB:

Die für die fristlose Kündigung erforderliche Sachverhaltsermittlung in drei Schritten durch die Compliance-Funktion (Auswertung von Unterlagen, Anhörung verschiedener Beteiligter und abschließende Anhörung des Beschuldigten) ist laut 8. Zivilsenat des OLG Hamm zulässig und stellt eine planvolle und zielgerichtete Aufklärung dar. Insbesondere bei der Aufklärung von mutmaßlich kollusivem Zusammenwirken sei es sachgerecht, nicht alle Beteiligten an einem Tag anzuhören. Eine Zeitspanne von bis zu zehn Wochen, z. B. im Falle einer Verhinderung betroffener Personen, hindere nicht die Zweckmäßigkeit. Die Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB beginnt erst dann, wenn alle Tatsachen, welche die Entscheidung über die Beendigung oder das Fortsetzen des Dienstverhältnisses ermöglichen, durch angemessene Aufklärungsmaßnahmen ermittelt worden sind.

In diesem konkreten Fall verzögerte sich die Sachverhaltsaufklärung auch aufgrund früherer Compliance-Verstöße des gekündigten Geschäftsführers, bei denen zu beurteilen war, ob diese zur Begründung des in Betracht kommenden Compliance-Verstoßes von Bedeutung waren. Deshalb stellte auch die dahingehende Sachverhaltsaufklärung keine unangemessene Verzögerung dar.


Verstoß trotz Tax-Compliance-Management-System:

Auch im Rahmen des Tax-Compliance-Management-Systems (Tax-CMS) können Vorsatz oder das bewusste Umgehen von Compliance-Regelungen nie vollständig ausgeschlossen werden. Grundsätzlich trifft einen Geschäftsführer aber keine Schuld, wenn das Unternehmen ein Tax-CMS in angemessenem Umfang eingerichtet hat und die damit verbundenen internen Regelungen auch tatsächlich im Unternehmen gelebt werden, es sei denn, das Tax-CMS ist nachweislich nicht angemessen.


Handlungsbedarf:

  • Führungspersonen müssen hinsichtlich (interner) Compliance-Vorschriften eine Vorbild-Funktion einnehmen und sind auch darauf hinzuweisen.
  • Bei umfassenden Aufklärungsmaßnahmen, die zeitnah und sorgfältig erfolgen müssen, beginnt die gemäß § 626 Abs. 2 BGB vorgeschriebene Zwei-Wochen-Frist zur fristlosen Kündigung erst mit deren Abschluss.